NEUROPSYCHIATER

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Neurostimulation zur Behandlung der Alzheimer-Demenz

Trotz grosser wissenschaftlicher Anstrengungen ist die Alzheimer-Demenz noch immer nicht heilbar. Es konnten jedoch Fortschritte erzielt werden, um die geistigen Fähigkeiten der Betroffenen zu verbessern bzw. möglichst lange zu erhalten, die allgemeine Lebensqualität zu erhöhen und auf diese Weise auch die Angehörigen zu entlasten. Neben Medikamenten kommen dabei nicht-invasive Hirnstimulationsverfahren (NIBS) zum Einsatz.

Alzheimer-Demenz

Die Alzheimer-Krankheit ist eine neurodegenerative Erkrankung, welche zu einem progredienten Verlust der kognitiven Fähigkeiten führt. Es werden neben dem Hippokampus hintere Hirnregionen wie der Precuneus und der posteriore parietale Kortex früh vom Krankheitsprozess betroffen. Der Hippokampus ist für das Abspeichern neuer Informationen entscheidend, so dass die Atrophie zu Defiziten beim Erlernen neuer Inhalte führt. Die Schwierigkeiten, Gedächtnisinhalte abzurufen dürfte die Folge einer Funktionsstörung des Precuneus mit funktioneller Entkopplung des ‘Default Mode Networks’ (DMN) sein (1).

Im Krankheitsverlauf kommt es aber auch zur Funktionsstörung anderer weit ausgedehnter Netzwerke mit Störung von Aufmerksamkeit und Arbeitsgedächtnisses, Sprache und Raumverarbeitung. Gerade bei der Störung des Arbeitsgedächtnisses spielt eine Funktionsstörung des ‘dorsolateralen präfrontalen Kortex’ (DLPFC) eine wichtige Rolle (2). 

Aktuell geht man davon aus, dass eine eingeschränkte synaptische Plastizität in den betroffenen Netzwerken die wesentliche Pathologie darstellt (3). Die synaptische Plastizität umfasst prä- und postsynaptische Prozesse, die durch innere oder äussere Ereignisse ausgelöst werden. Es kommt zu kurz oder lang wirksamen Änderungen der Intensität der synaptischen Übertragung. Wird die Übertragung von exzitatorischen Neuronen verstärkt, so spricht man von ‘Long-Term Potentiation’ (LTP), wird sie geschwächt, spricht man von ‘Long-Term Depression’ (LTD).

Wirkung der nicht-invasive Hirnstimulationsverfahren auf die Neuroplastizität

Bei der ‘repetitiven Transkranielle Magnetstimulation’ (rTMS) wird mit Hilfe einer Magnetspule ein kurzer elektrischer Strom in der Hirnrinde induziert, welcher seinerseits neuronale Aktivität auslöst. So zuckt z.B. der rechte Daumen, wenn ein einzelner Magnetpuls über der linken motorischen Hirnrinde ausgelöst wird. Bei repetitiver Anwendung – über einige Wochen 20 Sitzungen und mehr mit jeweils vielen tausend Impulsen – können langanhaltende Effekte wie eine bessere Konzentration, bessere Stimmung oder auch weniger Schmerzen erreicht werden. Wie diese langanhaltenden Effekte zustande kommen, ist nicht sicher geklärt. Die Hauptannahme ist, dass hohe Pulsfrequenzen eine ‘Long-Term Potentiation’ (LTP) und niedrige Pulsfrequenzen eine ‘Long-Term Depression’ (LTD) bei Synapsen der stimulierten Netzwerke auslösen und somit direkt die synaptische Plastizität beeinflussen (4). Daneben gibt es auch Modelle, die Effekte auf die Genexpression und die Neuroprotektion postulieren (5). Nicht zuletzt kann die rTMS auch die Konzentration von Neurotransmittern in glutamatergen und dopaminergen Systemen modulieren (6).

Wird zwischen zwei auf dem Kopf positionierten Oberflächenelektroden eine niedrige Spannung (wenige Volt) angelegt und damit ein schwacher Strom (wenige mA) induziert, so spricht mach von ‘transkranieller Gleichstromstimulation’ (tDCS). Es handelt es sich um eine Methode der Neuromodulation. Das bedeutet, dass keine Nervenzellentladungen ausgelöst werden wie bei der rTMS, sondern es wird nur die Aktivität einzelner Hirnregionen angeregt oder gehemmt. Die klinisch beobachteten anhaltenden Effekte z.B. bei der Depressionsbehandlung können noch immer nicht gut erklärt werden (7). Zahlreiche Untersuchungen legen nahe, dass es zu Veränderungen der Freisetzung von Neurotransmittern und Modulation der Neuroplastizität kommt (8) (9).

Bei der ‘Transkraniellen Pulsstimulation’ (TPS) wird das Gehirn mit Schallpulsen stimuliert. Diese Stimulation ist wie auch die rTMS und die tDCS nicht-invasiv; die Schallwellen dringen durch Haut und Schädeldecke, ohne dabei Verletzungen zu verursachen. Für die Wirkung dürften mechanosensitive Ionenkanäle eine Schlüsselrolle spielen (10). Indem sie zu einer Erhöhung der Zellpermeabilität (11) führen, kommt es zu einer Änderung der Konzentration von Neurotransmittern (Erhöhung Serotonin und Dopamin, Erniedrigung GABA) und neurotrophen Wachstumsfaktoren (Erhöhung VEGF, BDNF und GDNF). Der Wachstumsfaktor BDNF (Brain-Derived Neurotrophic Factor) spielt eine grosse Rolle bei der Entwicklung, Reifung aber auch Regeneration von Nervenzellen und bei der Neuroneogenese und Neuroplastizität im Gehirn. Der Nachweis, dass die Schallstosswellen zu einer Hochregulation neuroplastischer Prozesse führen, konnte dadurch erbracht werden, dass nach Stimulation des sensorischen Kortex noch nach einer Woche eine strukturelle und funktionelle Veränderung nachgewiesen werden konnte (13).

Wirkung NIBS bei Alzheimer

Auch wenn es noch keine Standardprotokolle zur Behandlung der Alzheimer-Demenz mit nicht-invasiven Stimulationsmethoden gibt, so konnte doch in verschiedenen Studien gezeigt werden, dass sich die kognitiven Defizite reduzieren lassen (15) (16).

So konnte z.B. eine randomisierte Sham-kontrollierte rTMS-Studie nachweisen, dass fünf tägliche Behandlungen mit rTMS über dem DLPFC die Konzentration, die sprachlichen Funktionen aber auch die Stimmung und die Alltagsfunktionen bei leicht bis mittelschwer Betroffenen verbessert. Dabei blieben die Verbesserungen zwischen einem und sechs Monaten stabil (17). Auch wurden Protokolle entwickelt, welche kognitives Training mit rTMS kombinieren und einen grösseren, weil synergistischen Effekt zeigten (18). Eine neuere Studien konnten zeigen, dass die Stimulation des Precuneus mit rTMS das Langzeitgedächtnis verbessert (1).

Auch tDCS kann die kognitiven Funktionen positiv beeinflussen. In einer Sham-kontrollierten Studie wurden Betroffene während 6 Monaten mit Hilfe eines Heimgerätes täglich über dem linken DLPFC stimuliert. Die kognitiven Funktionen und der zerebrale Glucose-Metabolismus konnten verbessert oder stabilisiert werden (19).

Bei der TPS werden viele Knotenpunkte der wichtigsten neuronalen Netzwerke in einer Sitzung stimuliert: neben dem Precuneus auch der DLPFC, inferiorer und medialer Gyrus frontalis, inferiorer parietaler Kortex (Gyrus supramarignalis und angularis) und superiorer parietaler Kortex. So konnte bereits nach 6 Behandlungssitzungen eine Verbesserung der kognitiven Funktionen nachgewiesen werden, die während 3 Monaten stabil blieb (20). Zudem konnte eine Reduktion der kortikalen Atrophie bei Alzheimer-Patienten nachgewiesen werden (14). In einer weiteren Arbeit konnte zudem ein antidepressiver Effekt der TPS bei Patientinnen und Patienten mit Alzheimer-Demenz nachgewiesen werden (21).

Zusammengefasst kann gesagt werden, dass von den nicht-invasive Hirnstimulationsverfahren (NIBS) keine Wunder bei der Behandlung der Alzheimer-Demenz erwartet werden dürfen, dass es aber vielversprechende Ansätze gibt, um die geistigen Fähigkeiten der Betroffenen zumindest vorübergehend zu verbessern und damit die allgemeine Lebensqualität nochmals zu erhöhen.

Literatur  

1.         Koch G, Bonnì S, Pellicciari MC, Casula EP, Mancini M, Esposito R, u. a. Transcranial magnetic stimulation of the precuneus enhances memory and neural activity in prodromal Alzheimer’s disease. NeuroImage. April 2018;169:302–11.

2.         Kumar S, Zomorrodi R, Ghazala Z, Goodman MS, Blumberger DM, Cheam A, u. a. Extent of Dorsolateral Prefrontal Cortex Plasticity and Its Association With Working Memory in Patients With Alzheimer Disease. JAMA Psychiatry. 1. Dezember 2017;74(12):1266–74.

3.         Yuan TF, Li WG, Zhang C, Wei H, Sun S, Xu NJ, u. a. Targeting neuroplasticity in patients with neurodegenerative diseases using brain stimulation techniques. Transl Neurodegener. Dezember 2020;9(1):44.

4.         Dayan E, Censor N, Buch ER, Sandrini M, Cohen LG. Noninvasive brain stimulation: from physiology to network dynamics and back. Nat Neurosci. Juli 2013;16(7):838–44.

5.         Chervyakov AV, Chernyavsky AYu, Sinitsyn DO, Piradov MA. Possible Mechanisms Underlying the Therapeutic Effects of Transcranial Magnetic Stimulation. Front Hum Neurosci [Internet]. 16. Juni 2015 [zitiert 4. Februar 2022];9. Verfügbar unter: http://journal.frontiersin.org/Article/10.3389/fnhum.2015.00303/abstract

6.         Moretti J, Poh EZ, Rodger J. rTMS-Induced Changes in Glutamatergic and Dopaminergic Systems: Relevance to Cocaine and Methamphetamine Use Disorders. Front Neurosci. 6. März 2020;14:137.

7.         Lefaucheur JP, Wendling F. Mechanisms of action of tDCS: A brief and practical overview. Neurophysiol Clin Clin Neurophysiol. September 2019;49(4):269–75.

8.         Feldman DE. The spike-timing dependence of plasticity. Neuron. 23. August 2012;75(4):556–71.

9.         Reato D, Rahman A, Bikson M, Parra LC. Low-intensity electrical stimulation affects network dynamics by modulating population rate and spike timing. J Neurosci Off J Soc Neurosci. 10. November 2010;30(45):15067–79.

10.        d’Agostino MC, Craig K, Tibalt E, Respizzi S. Shock wave as biological therapeutic tool: From mechanical stimulation to recovery and healing, through mechanotransduction. Int J Surg Lond Engl. Dezember 2015;24(Pt B):147–53.

11.        López-Marín LM, Rivera AL, Fernández F, Loske AM. Shock wave-induced permeabilization of mammalian cells. Phys Life Rev. November 2018;26–27:1–38.

12.        Wang B, Ning H, Reed-Maldonado AB, Zhou J, Ruan Y, Zhou T, u. a. Low-Intensity Extracorporeal Shock Wave Therapy Enhances Brain-Derived Neurotrophic Factor Expression through PERK/ATF4 Signaling Pathway. Int J Mol Sci. 16. Februar 2017;18(2):E433.

13.        Matt E, Kaindl L, Tenk S, Egger A, Kolarova T, Karahasanović N, u. a. First evidence of long-term effects of transcranial pulse stimulation (TPS) on the human brain. J Transl Med. 15. Januar 2022;20(1):26.

14.        Popescu T, Pernet C, Beisteiner R. Transcranial ultrasound pulse stimulation reduces cortical atrophy in Alzheimer’s patients: A follow‐up study. Alzheimers Dement Transl Res Clin Interv [Internet]. Januar 2021 [zitiert 12. Februar 2022];7(1). Verfügbar unter: https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/trc2.12121

15.        Freitas C, Mondragón-Llorca H, Pascual-Leone A. Noninvasive brain stimulation in Alzheimer’s disease: Systematic review and perspectives for the future. Exp Gerontol. April 2011;S0531556511000908.

16.        Chang CH, Lane HY, Lin CH. Brain Stimulation in Alzheimer’s Disease. Front Psychiatry. 22. Mai 2018;9:201.

17.        Ahmed MA, Darwish ES, Khedr EM, El Serogy YM, Ali AM. Effects of low versus high frequencies of repetitive transcranial magnetic stimulation on cognitive function and cortical excitability in Alzheimer’s dementia. J Neurol. Januar 2012;259(1):83–92.

18.        Sabbagh M, Sadowsky C, Tousi B, Agronin ME, Alva G, Armon C, u. a. Effects of a combined transcranial magnetic stimulation (TMS) and cognitive training intervention in patients with Alzheimer’s disease. Alzheimers Dement J Alzheimers Assoc. April 2020;16(4):641–50.

19.        Im JJ, Jeong H, Bikson M, Woods AJ, Unal G, Oh JK, u. a. Effects of 6-month at-home transcranial direct current stimulation on cognition and cerebral glucose metabolism in Alzheimer’s disease. Brain Stimulat. Oktober 2019;12(5):1222–8.

20.        Beisteiner R, Matt E, Fan C, Baldysiak H, Schönfeld M, Philippi Novak T, u. a. Focal Brain Therapy: Transcranial Pulse Stimulation with Ultrasound in Alzheimer’s Disease—A New Navigated Focal Brain Therapy (Adv. Sci. 3/2020). Adv Sci. Februar 2020;7(3):2070017.

21.        Matt E, Dörl G, Beisteiner R. Transcranial pulse stimulation (TPS) improves depression in AD patients on state-of-the-art treatment. Alzheimers Dement N Y N. 2022;8(1):e12245.