Überblick Sprach-, Schreib-, Lese- und Rechenstörungen

Sprachstörungen sind häufige und die Lebensqualität massiv einschränkende Störungen. Meist treten sie im Rahmen linkshemisphärischer (bei Rechtshändigkeit) Schädigungen wie z.B. Hirnschlägen auf und werden typircherweise von Schreib-, Lese- und Rechenstörungen begleitet.

APHASIEN

Mit Aphasie wird eine erworbene Störung des Sprachvermögens bezeichnet. Dabei können je nach Lokalisation und Ausdehnung der Läsion die Spontansprache, das Sprachverständnis, das Nachsprechen und das Benennen unterschiedlich stark betroffen sein. Ist die Störung der Sprachproduktion im Vordergrund, spricht man von einer expressiven Sprachstörung. Ist das Sprachverständnis mehr betroffen, liegt eine perzeptive Sprachstörung vor.

Um eine differenziertere Unterscheidung vornehmen zu können, beschreibt man die Spontansprache (flüssig vs. nicht-flüssig), Störungen der grammatischen Struktur (Agrammatismus, Paragrammatismus), das Vorliegen von Paraphasien (phonematisch oder semantisch), das Verständnis von Mehr-Stufen-Kommandos, das Nachsprechen und das Benennen.

Zumindest nach Schlaganfällen lässt sich ein Grossteil der Aphasien „Standardsyndromen“ zuordnen, welche lokalisatorisch interpretiert werden können. Dabei muss diese Lokalisation aber mit Vorsicht erfolgen, da es interindividuelle Unterschiede gibt und gerade auch subkortikale Läsionen Mischbilder bewirken können. Wichtiger als die Zuordnung zu einen Standardsyndrom bleibt deshalb die Beschreibung der Defizite in den einzelnen Bereichen. 

 

Globale Aphasie         

  • Spontansprache:        nicht-flüssig, Agrammatismus

  • Verständnis:               schlecht

  • Nachsprechen:           schlecht

  • Benennen:                  schlecht

Typische Lokalisation der Läsion: Ausgedehnte Läsion des gesamten Versorgungsgebietes der A. cerebri media links, wobei auch isolierte ausgedehntere subkortikale Läsionen unter Einbezug Thalamus und Basalganglien möglich sind.

Lok Globale Aphasie.png
 

Broca-Aphasie

  • Spontansprache:        nicht-flüssig, Agrammatismus, Paraphasien

  • Verständnis:            gut

  • Nachsprechen:           schlecht

  • Benennen:                 schlecht                      

Typische Lokalisation der Läsion: linksseitiges frontales Operculum (Broca-Areal, Areal 44), persistierend, wenn auch Area 45 (rostral von 44), das parietale Operculum, die vordere Insel und die darunter liegende weisse Substanz betroffen ist.

Lok Broca Aphasie.png
 

Wernicke-Aphasie      

  • Spontansprache:     flüssig, Paragrammatismus, Paraphasien

  • Verständnis:               schlecht

  • Nachsprechen:           schlecht

  • Benennen:                  schlecht                      

Typische Lokalisation der Läsion: oberer hinterer Temporallappen (Wernicke-Areal, Area 22) mit Einbezug des unteren Parietallappens (Gyrus angularis und supramarginalis) und des Übergangs zum Okzipitallappen.

Lok Wernicke Aphasie.png
 

Amnestische oder anomische Aphasie

  •  Spontansprache:   flüssig mit Umschreibungen wegen Wortfindungsstörungen

  • Verständnis:            gut

  • Nachsprechen:        gut

  • Benennen:                 schlecht                      

Typische Lokalisation der Läsion: tritt häufig im Verlauf einer anderen Apahsieform auf und ist damit lokalisatorisch wenig spezifisch.

 
 

Leitungsaphasie

  • Spontansprache:     oft flüssig, phonematische Paraphasien

  • Verständnis:            gut

  • Nachsprechen:           schlecht

  • Benennen:                  schlecht                      

Typische Lokalisation der Läsion: das parietale Operculum und die darunter verlaufenden Fasern (Fasciculus arcuatus), die das Broca- und das Wernicke-Areal miteinander verbinden.

Lok Leitungsaphasie.png
 

Transkortikal-motorische Aphasie

  • Spontansprache:       nicht-flüssig

  • Verständnis:           gut

  • Nachsprechen:       gut

  • Benennen:                schlecht                      

Typische Lokalisation der Läsion: Betroffen ist typischerweise der dorsolaterale Frontallappen rostral des Broca-Areals.

Lok Transkort motor Aphasie.png
 

Transkortikal-sensorische Aphasie

  • Spontansprache:    flüssig

  • Verständnis:              schlecht

  • Nachsprechen:        gut

  • Benennen:                 schlecht                      

Typische Lokalisation der Läsion: Typischerweise mehr posterior und mehr ventral als bei der Wernicke-Aphasie und damit am temprookzipitalen Übergang.

Lok Transkort sensor Aphasie.png
 

Subkortikale Aphasie

Subkortikalen Läsionen, d.h. Läsionen des anteriorer Thalamus, des Striatums oder auch der Capsula interna können zu verschiedenen Formen einer Aphasie führen. . Eine wichtige Funktion subkortikaler Strukturen schein dabei die Überwachung des sprachlichen Outputs zu sein, sowohl bzgl. Wortwahl als auch. Aussprache und Sinn der ganzen Aussage. Da die daraus resultierende Sprachstörung von den klassischen aphasischen Syndromen abweichen kann (Gebrauch falscher oder auch neuer Wörter, Verlieren des roten Fadens) wurde sie auch als „dissidente Aphasie“ bezeichnet.

Lok Subkortikale Apahasie.png
 

SCHREIB-, LESE- UND RECHENSTÖRUNGEN

 

Agraphie mit Alexie

Agraphien treten meist im Rahmen einer Aphasie (aphasische Agraphie) oder auch einer Apraxie (apraktische Agraphie) auf. Daneben gibt es aber auch eine Schreib-/Lesestörung ohne Aphasie/Apraxie, man spricht dann von einer (reinen) Agraphie mit Alexie: Die Läsion ist dabei typischerweise im Bereich des linken hinteren Parietallappens:

Lok Agraphie mit Alexie.png
 

Reine Agraphie

Bei Läsionen des Corpus callosums kann es durch eine Diskonnektion der Hemisphären zu einer reinen Agraphie der linken Hand kommen:

Lok reine Agraphie.png
 

Alexie ohne Agraphie

Umgekehrt kann bei Läsionen des linksseitigen medialen temporo-okzipitalen Übergangs  eine reine Alexie oder Alexie ohne Agraphie auftreten.

Lok reine Alexie.png
 

Akalkulie

Akalkulie bezeichnet den Verlust der Fähigkeit, mit Zahlen umzugehen. Meist treten Akalkulien im Rahmen einer Aphasie (aphasiche Akalkulie) oder einer visuo-konstruktiven Verarbeitungsstörung (spatiale Aphasie) auf. Lokalisatorisch sind diese Akalkulien nicht spezifisch, ausser dass die erstere mit einer links-, die letztere mit einer rechtsemisphärischen Läsion korreliert. Ob es eine Akalkulie unabhängig von Aphasie oder visuo-konstruktiver Störung gibt, ist fraglich.

Literatur

Goldenberg G. Neuropsychologie, Grundlagen, Klinik, Rehabilitation, Urban & Fischer 2007.

Schnider A. Verhaltensneurologie, die neurologische Seite der Neuropsychologie, Thieme 1997.

Hufschmidt A et al. Neurologie compact, Thieme 2013.