Kognitive Kontrolle

 
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Die Unterscheidung von attentionalen und exekutiven Funktionen bzw. attentionalen und exekutiven Defiziten kann im klinischen Alltag schwierig sein, da beide Funktionen ineinander übergehen. Das intakte Funktionieren beider ist z.B. für die fehlerfreie Durchführung eines GO/NoGO-Tests mit zusätzlicher Ablenkung notwendig: auf einen Ziel-Stimulus (GO) soll der Proband reagieren, nicht jedoch auf einen Nicht-Ziel-Stimulus (NoGO) und auch nicht auf eine Ablenkung (NOVELTY). Soll das Unterdrücken von Fehlern nun als Leistung der «exekutiven» Aufmerksamkeit oder als Leistung des exekutiven Systems angesehen werden? Und falls zu viele Fehler auftreten: wie sollen diese pathophysiologisch eingeordnet werden? Am erfolgversprechendsten ist es, wenn man verschiedene Modelle heranzieht. Die einen sind stärker, die Wirkung lokalisierter Läsionen zu verstehen, die anderen beim Verständnis des Einflusses dysfunktionaler neuronaler Netze. Zu diesem Zweck will ich die drei Modelle nach Posner, Norman & Shallice undStuss kurz beschreiben und zeigen, wie sie sich im klinischen Alltag ergänzen können.

Das Aufmerksamkeitssystem des menschlichen Gehirns besteht nach Posner aus 3 Netzwerken: ‘Alerting’-Netzwerk, ‘Orienting’-Netzwerk und ‘Executive’-Netzwerk. Das 'Alerting'-Netzwerk umfasst noradrenerge Kerne der Formatio reticularis (Locus coeruleus), den rechten dorsolateralen präfrontalen und rechten unteren Parietal-Kortex, intralaminäre und retikuläre thalamische Kerne und vordere Teile des Gyrus cinguli. Dieses Netzwerk ist verantwortlich für Aktivierung und Ausdauer. Das ‘Orienting'-Netzwerk ist ein cholinerges Netzwerk, das sich aus dem inferioren Parietallappen, den Colliculi superiores und dem Pulvinar zusammensetzt. Ein gut funktionierendes "Orienting"-Netzwerk ermöglicht es, sich auf das Ziel einer Aufgabe zu konzentrieren und nicht durch andere Reize abgelenkt zu werden, d.h. eine Orientierungsreaktion zu unterdrücken. Das "Executive"-Netzwerk ist ein dopaminerges Netzwerk bestehend aus fronto-striatalen Schleifen, der SMA und dem anteriorem Gyrus cinguli. Es ist verantwortlich für die geteilte Aufmerksamkeit (Bewältigung von zwei oder mehr Aufgaben gleichzeitig) und die exekutive Aufmerksamkeit (Hemmung und Konfliktüberwachung).

Norman und Shallice (1980) schlugen das Supervisory Attentional System (SAS) vor, um nicht routinemäßiges, zielorientiertes Verhalten zu ermöglichen, indem es die Auswahl und Aufrechterhaltung des zielrelevanten Schemas steuert. Das SAS ist somit ein den exekutiven Funktionen zuzuordnendes Steuerungs- und Monitoring-System.

Inspiriert durch das SAS-Modell, dieses aber weiter differenzierend, haben Stuss et al (1995) argumentiert, dass sich das attentionale exekutive System in drei anatomisch und funktionell verschiedene Systeme aufteilen lässt: Energetisierung, Task-Setting und Monitoring. Die Energetisierung bezieht sich dabei auf den Prozess, der zur Einleitung und Aufrechterhaltung optimaler Reaktionsmuster notwendig ist. Das Task-Setting organisiert das Verhalten, um ein definiertes Ziel zu erreichen. Das Monitoring schliesslich ermöglicht die Qualitätskontrolle des Verhaltens, indem es die Aufgabenleistung und das Ergebnis im Zeitablauf überprüft, was eine Voraussetzung für eine angemessene Anpassung des Verhaltens ist. Dabei werden alle drei Systeme im Frontallappen verortet: die Energetisierung dorsomedial, das Task-Setting links lateral und das Monitoring rechts lateral. Brunner et al (2014) konnten eine Korrelation dieser Prozesse mit independent components (ICs) von Event Related Potentials (ERPs) eines GO/NoGO-Tests zeigen. In der folgenden Tabelle sind die verschiedenen Konzepte gegenübergestellt (auf die genauere Bedeutung der evozierten Potentiale gehe ich in einem anderen Blog ein):

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Neben der Schwierigkeit, bei Defiziten zwischen einer Störung attentionaler und exekutiver Funktionen zu unterscheiden, besteht eine andere darin, dass es vorkommt, dass ein Patient nicht unbedingt zugleich auf der Verhaltensebene und auch elektrophysiologisch von der Norm abweichende Befunde zeigt. Ich will deshalb den Begriff der verminderten - oder auch verstärkten - kognitiven Kontrolle verwenden, wenn entweder auf der Verhaltensebene eine verminderte «exekutive» Aufmerksamkeit nachgewiesen werden kann oder wenn sich pathophysiologisch eine Störung des ‚Executive‘-Netzwerk, des Task Settings oder des Monitorings nachweisen lässt. So kann es sein, dass ein Patient über Konzentrationsstörungen klagt, im GO/NoGO keine Defizite, elektrophysiologisch jedoch Befunde eines verminderten Monitorings zeigt. 

 

Literatur

Petersen SE, Posner MI. The Attention System of the Human Brain: 20 Years After. Annu Rev Neurosci 2012 Jul 21; 35: 73-89.

Norman D, Shallice Tim. Lansman, Marcy; Hunt, Earl, eds. Attention to Action: Willes and Automatic Control of Behavior. Proceedings of the Lake Wilderness Attention Conference. Interim Technical Report, August 1, 1980 through September 30, 1980. Retrieved 2016-05-18.

Stuss, D.T., Shallice, T., Alexander, M.P., Picton, T.W. A multidisciplinary approach to anterior attentional functions. Ann. N. Y. Acad. Sci. 1995; 769: 191–211.

Brunner JF et al. Neuropsychological parameters indexing executive processes are associated with independent components off ERPs. Neuropsychologia 2015; 66: 144-56.