Therapieplanung mit Hilfe des Yerkes-Dodson-Gesetzes

Jede von einem System – mechanisch oder biologisch – erbrachte Leistung zeigt eine Abhängigkeit von seiner Aktivierung. Bei geringer Aktivierung wird wenig Leistung erbracht. Steigt die Aktivierung, so steigt auch die Leistung, um ab einem gewissen Punkt wieder abzunehmen. Es findet sich ein Bereich optimaler (und nicht maximaler) Aktivierung, in welchem die maximal mögliche Leistung erbracht wird. Dieser Zusammenhang kann mit der sogenannten “inverted U-curve” dargestellt werden und wird nach seinen Erstbeschreibern Yerkes-Dodson-Gesetz genannt (Robert Yerkes und John D. Dodson, 1908):

Inverted-U-Curve.png
 

Auch die Leistung mentaler Funktionen wie der Aufmerksamkeit, der Motivation und der Stimmung hängen von der Aktivierung der ihnen zugrundeliegenden neuronalen und auch humoralen Systeme ab. Dabei darf man sich das Optimum von Erregung und Leistung nicht zu starr und eng vorstellen. Je nach Situation und Gesamtzustand des Organismus kann sich dieser verschieben. In Bedrohungssituationen wird im Rahmen des Fight-or-Flight-Mechanismus der Sympathikus aktiviert, was zu der notwendigen weiteren Leistungssteigerung bei höherer Erregung führt. Umgekehrt verschiebt sich das Optimum im Zustand der Entspannung bzw. des Schlafs, wenn der Parasympathikus aktiviert ist.

Um also angemessen auf innere und äussere Anforderungen reagieren zu können, bedarf es der Selbstregulation auf verschiedenen Ebenen. Das ist nicht nur wichtig, um im jeweiligen Moment angemessen reagieren zu können, sondern auch für die langfristige Gesundheit. Denn z.B. eine chronische Überaktivierung des Sympathikus bzw. der Stressreaktion führt zu einem erhöhten Cortisolspiegel bzw. einem ungünstigen Verhältnis von Cortisol und Dehydroepiandrosterone (DHEA). 

Die Schwierigkeit besteht nun für den Patienten aber auch für den Arzt darin, zu entscheiden, ob eine Über- oder Unteraktivierung einzelner Systeme vorliegt. Nur in Kenntnis dessen kann geplant werden, welche Massnahmen zu guter Leistung führen können. Eine Patientin kann z.B. depressiv, erschöpft und antriebsgemindert sein. Klinisch entsteht der Eindruck, dass sich die Patientin links auf der U-Kurve befindet:

Unteraktivierung.png
 

Ist dies wirklich der Fall und aktiviert man sie, so kann sich ihr Zustand hin zum Optimum verschieben und es geht ihr besser. Ist sie aber erschöpft und zeigt eine schlechte Performance, weil z.B. das limbische Alarm-System überaktiviert ist, so verschlechtert sich ihr Zustand sogar mit einer aktivierenden Intervention:

Überaktivierung.png
 

In diesem Fall muss trotz der Erschöpfung und Apathie «kontraintuitiv» eine beruhigende Intervention ins Auge gefasst werden:

Behandlung Überaktivierung.png
 

Dieses Modell lässt gut erklären, warum gewisse Patienten mit Depression schlecht auf antriebssteigernde Antidepressive ansprechen: sie sind überaktiviert und es geht ihnen schlechter, wenn man sie weiter aktiviert. Sie profitieren von «cooling down».

Zwei andere wichtige Situationen können unterschieden werden: die Instabilität und die Dysregulation. Bei der Instabilität kippt der Patient rasch und häufig zwischen Über- und Unteraktivierung:

Instabilität.png
 

Therapeutisch steht mehr die Stabilisierung im Vordergrund. Bei der Dysregulation kann ein System z.B. über- und ein anderes unteraktiviert sein:

Dysregulation D.png
 

Die Behandlung muss also beide Aspekte berücksichtigen, v.a. auch die möglichen Nebenwirkungen der Intervention bzgl. System I auf System II.

Um mit Hilfe dieses Modells therapeutische Entscheidungen treffen zu können, muss man jedoch Kenntniss über den Aktivierungszustand der verschiedenen Systeme haben. Diese erlangt man z.B. mit Hilfe von Neuromarkern der neuronalen Selbstorganisation (qEEG) und auch des neuronalen Antwortverhaltens (ERPs).

Yerkes, R.M. & Dodson, J.D.: The relation of strength of stimulus to rapidity of habit-formation. Journal of Comparative Neurology and Psychology, 18 (1908) 459-482.