"Altered Traits - Science Reveals How Meditation Changes Our Mind, Brain, and Body" von Daniel Goleman & Richard J. Davidson

 
 
 

Daniel Goleman & Richard J. Davidson

Altered Traits - Science Reveals How Meditation Changes Our Mind, Brain, and Body

In ‘Altered Traits’ interessiert die beiden Autoren weniger der Zustand (State) der Meditation, sondern ob sich Persönlichkeitszüge (Traits) durch regelmässige Meditation ändern bzw. wie sich diese Veränderungen neurophysiologisch nachweisen lassen. Ich lernte viel über die verschiedenen Meditationsformen und die Geschichte ihrer wissenschaftlichen Erforschung:

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Die spirituelle Literatur ganz Eurasiens formuliert dieselben Ziele von Meditation und Kontemplation: die innere Befreiung von täglichen Sorgen, Selbstbezogenheit und Impulsivität, um Selbstlosigkeit, Gleichmut, liebevolle Präsenz und unvoreingenommenes Mitgefühl zu entwickeln.

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Meditation und Kontemplation sind dabei ein weites Feld. Die Autoren untersuchen v.a. die unabgelenkte Konzentration (Sanskrit: samadhi), die Achtsamkeit (Pali: sati) und die Meditation der liebevollen Güte (Pali: metta).

Die ersten zwei Formen können zu den Aufmerksamkeitsmeditationen zusammengefasst werden. Die Bedeutung der Fähigkeit zur Aufmerksamkeit formulierte schon William James in den Principles of Psychology von 1890: “Die Fähigkeit, eine abschweifende Aufmerksamkeit immer wieder zurückzubringen, ist die eigentliche Wurzel von Urteilsvermögen, Charakter und Willen. Eine Erziehung, die diese Fähigkeit verbessern würde, wäre die Erziehung schlechthin.”

Die ‘Aufmerksamkeit’ an sich gibt es dabei nicht. Die Autoren unterscheiden im Wesentlichen folgende Teilaspekte:

  • Vigilanz: Aufrechterhalten eines konstanten Levels der Aufmerksamkeit

  • Selektive Aufmerksamkeit: die Fähigkeit, sich auf ein Element zu konzentrieren und andere zu ignorieren

  • Kognitive Kontrolle (Zielorientierung): trotz Ablenkungen ein bestimmtes Ziel oder eine Aufgabe im Auge behalten

  • Meta-Bewusstsein (meta-awareness): die Fähigkeit, die Qualität des eigenen Bewusstseins verfolgen können, z.B. zu bemerken, wenn die Gedanken abschweifen oder man einen Fehler gemacht hat

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Bei den Konzentrationsmeditationen stehen die selektive Aufmerksamkeiten und die kognitive Kontrolle im Zentrum. Das Meta-Bewusstsein ist wichtig, um das Wandern des eigenen Geistes zu bemerken, um ihn dann wieder auf den Fokus zurückzubringen.

Bei den Achtsamkeitsmeditationen steht das Meta-Bewusstsein im Vordergund: das nicht-urteilende Wahrnehmen aller Gedanken und Gefühle, ohne an diesen haften zu bleiben. Die meist zitierte Definition von Achtsamkeit stammt von Jon Kabat-Zinn: ‘Achtsamkeit ist das Gewahrsein, das entsteht, wenn man absichtlich im gegenwärtigen Moment und ohne Wertung auf die Entfaltung von Erfahrungen achtet.’

Die Meditation der liebevollen Güte (Metta; Loving-Kind­ness Meditation) will durch die Anwendung von Sätzen und Mantras erreichen, dass man eine bedingungslose, liebevolle Güte für alle Lebewesen empfindet.

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Bei allen Meditationsarten erlebt man den Gedankenfluss zuerst wie ein Wasserfall (Gedankenkarussell; mind wandering bzw. monkey mind). Im Verlauf ähnelt der Gedankenfluss dann einem Fluss und zuletzt einem See.

Dem Gedankenkarussell entspricht neurobiologisch die Aktivität des Default Mode Networks (DMN). Dieses Netzwerk ist aktiv, wenn wir uns an die eigene Biographie erinnern oder die Zukunft planen. Typischerweise ist dabei der ‘umherwandernde Geist’ (mind wandering) ein ‘unglücklicher Geist’: erlaubt uns unser Präfrontalkortex die Zukunft zu antizipieren und über die Vergangenheit nachzudenken, so können wir uns aber auch Sorgen machen bzw. bedauern.

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Führt nun regelmässige Meditation zu einer Änderung der Traits, der Persönlichkeit und kann diese neurobiologisch erklärt und nachgewiesen werden?

Anhand von Negativbeispielen erläutern die Autoren zunächst, dass wiederholte Erfahrungen sehr wohl das Gehirn verändern, umformen und damit zu Persönlichkeitsveränderungen führen können. Bei der (komplexen) posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) kommt es zu anhaltender Reizbarkeit, Schlaflosigkeit, Angst und Flashbacks. Es gelingt den Betroffenen nicht mehr, zur Ruhe zu kommen, die neuronale Stressreaktion zu stoppen. Auf der anderen Seite des Spektrums befindet sich das Aufwachsen in einem sicheren Umfeld mit dem Resultat, in der Lage zu sein, sich selber beruhigen zu können.

Als wichtigster ‘psychologischer Trait’ von Meditierenden konnte gezeigt werden, dass sie die emotionale Baseline nach Stress schneller erreichen.

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Das Bindeglied zwischen diesem Trait und der Neurobiologie ist dabei die Neuroplastizität: wiederholte Erfahrungen führen zu einem Umbau von neuronalen Netzwerken. Meditierende weisen eine bessere Konnektivität zwischen dem Präfrontalkortex und der Amygdala auf und können somit Angst und Alarm besser und schneller herunterregulieren.

Verschiedene Studien wollen zudem eine Vergrösserung folgender Strukturen nachgewiesen haben:

  • Insel: sie stimmt uns auf unseren inneren Zustand ein und stärkt die emotionale Selbstwahrnehmung, indem sie die Aufmerksamkeit für solche inneren Signale erhöht

  • Somatomotrischer Kortex: der wichtigste Hub für Berührungs- und Schmerzsinn

  • Präfrontaler Kortex: er ist für die Aufmerksamkeit und das Meta-Bewusstsein zuständig, Fähigkeiten, die in fast allen Meditationsformen kultiviert werden

  • Cingulärer und orbitofrontaler Kortex: Strukturen, die wichtig für die Selbstregulation sind

Die Autoren äussern sich aber kritisch, ob diese Resultate stimmen, zu viele Unsicherheiten würden bestehen v.a. aufgrund von methodischen Problemen.

Hingegen gilt als gesichert, dass Meditierende eine Reduktion von pro-inflammatorischen Zytokinen (Botenstoffe, die an entzündlichen Reaktionen beteiligt sind) und eine Zunahme der Telomerase (Enzym, welches die Zellalterung verlangsamt) aufweisen.

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Neben den Resultaten von funktioneller Bildgebung und Laboruntersuchungen fassen die Autoren elektrophysiologische Untersuchungen zusammen. Auf der Suche nach Möglichkeiten, den Zustand der Meditation wissenschaftlich zu erforschen wurden ab den 1970-er Jahren EEG (Hirnstromkurve) und ERPs (Evozierte Potentiale) eingesetzt.

Als einziger ‘neurophysiologischer Trait’ konnten bei Yogis - mit deutlich über 10’000 Stunden lebenslanger Praxis - weit ausgebreitete und synchronisierte Gamma-Wellen nachgewiesen werden. Gamma-Wellen sind assoziiert mit konzentrierter Kognition, treten normalerweise aber nur sehr kurz und lokalisiert auf. Bei wenig oder moderat geübten Meditierenden konnte dies jedoch nicht gefunden werden.

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Im letzten Kapitel diskutieren die Autoren das Neurofeedback (Rückmeldung von EEG-Signalen z.B: über eine Graphik auf einem Bildschirm). Diese Methode durchbricht die Schranke zwischen Gehirn und Geist, indem es ‘ein Fenster zur Gehirnaktivität öffnet’ und eine Feedbackschleife ermöglicht. Naheliegend ist die Idee, dass Gamma-Synchrony-Neurofeedback eine Abkürzung zum Yogi-Trait sein könnte. Die Autoren sehen dies jedoch skeptisch; überzeugende Daten dazu gibt es nicht. Hingegen diskutieren sie eine vielversprechende Neurofeedback-Variante zur Unterdrückung der Gamma-Band-Leistung im posterioren cingulären Kortex (PCC; wichtiger Knotenpunkt des DMN). Dieses Protokoll baut auf der Erkenntnis auf, dass im Zustand von Konzentration und Achtsamkeit die Aktivität des PCC vermindert ist.


Goleman D, Davidson RJ. Altered Traits: Science Reveals How Meditation Changes Your Mind, Brain, and Body. Reprint Edition. New York, New York: Avery; 2018. 336 S.