"Die hohe Kunst der Weisheit: Kleine Philosophie der Lebensklugheit” von Otfried Höffe

 
 
 

Otfried Höffe

"Die hohe Kunst der Weisheit: Kleine Philosophie der Lebensklugheit”

„Weisheit“ ist ein großer Begriff, den wir gerne mit einem unerreichbaren Zustand verbinden, einer nicht zu überbietenden Form von Wissen und Können: „Know-how“ und „Know-how“. Für Höffe ist Weisheit jedoch weder eine abstrakte Idee noch ein Privileg der Gelehrten. Sie ist vielmehr eine praktische Haltung gegenüber dem Leben.

Was heisst es, weise zu leben?

Weisheit bedeutet, die Kunst des richtigen Maßes zu beherrschen: zwischen Denken und Handeln, Vernunft und Emotion sowie Pflicht und Freude. Höffe sieht die Weisheit als die dritte Stufe nach Bildung und Intelligenz. Bildung umfasst das Wissen, das man sich angeeignet hat. Intelligenz ist die Fähigkeit, aus diesem Wissen Verknüpfungen herzustellen. Weisheit verbindet Bildung und Wissen mit beträchtlicher Lebenserfahrung und der Fähigkeit, das Erfahrene im Hinblick auf das, was man für sinnvoll und vernünftig hält, zu verarbeiten.

In der heute vorherrschenden Ethik stehen vor allem moralische Pflichten gegenüber anderen im Mittelpunkt. Daneben gibt es aber auch anspruchsvolle Tugendpflichten, also moralische Anforderungen an die Gesinnung, Motivation und Charakterbildung eines Menschen. Da sie aus der freien moralischen Selbstbestimmung entstehen, sind sie nicht einklagbar. Niemand kann dazu gezwungen werden, tugendhaft zu sein – man kann es lediglich empfehlen und fördern.

Weisheit als Haltung, nicht als Rezept

Höffe versteht unter Weisheit demnach keine theoretische Erkenntnis oder moralische Überlegenheit, sondern eine praktische Tugend: die Fähigkeit, in komplexen Situationen Maß zu halten, Verantwortung zu übernehmen und das eigene Handeln ethisch zu reflektieren. Weisheit belehrt nicht, sondern befähigt.

Die weise Haltung ähnelt der psychotherapeutischen: Es geht darum, Spannungen auszuhalten, ohne in Dogmatismus oder Beliebigkeit zu verfallen. Während sich die Psychotherapie jedoch in der Regel auf Heilung, Selbstregulation und persönliche Entwicklung konzentriert, fragt Höffe nach dem übergeordneten Horizont dieser Prozesse, nach dem, was ein gelungenes Leben ausmacht.

Zwischen Ethik und Selbstsorge

Ein zentraler Gedanke des Buches ist, dass wahre Lebenskunst stets auch eine moralische Verantwortung gegenüber sich selbst umfasst. Wie kann ich im Einklang mit mir selbst und der Gemeinschaft handeln und dabei meine eigene moralische Integrität bewahren? Welche Werte tragen in Krisenzeiten? Weisheit ist demnach weder Zynismus noch unreflektierte Lebensfreude, sondern ein verantwortungsbewusstes, reflektiertes Gleichgewicht.

Weisheit als Gegenmittel zur Überforderung

Gerade in einer Welt voller Informationsflut, moralischer Polarisierung und Schnellurteilen wirkt Höffes Plädoyer beinah subversiv. Er ruft zur Langsamkeit des Denkens, zu Gelassenheit und Einsicht auf. Seine Philosophie ist kein Elfenbeinturm, sondern eine Einladung, das Denken als Praxis der Lebensbewältigung zu verstehen.

Fazit

Weisheit ist keine fertige Antwort, sondern eine Haltung, die gelernt und gepflegt werden muss. Wer Weisheit nicht als Ziel, sondern als Haltung versteht, findet in diesem Buch Inspirationen für mehr Klarheit, Gelassenheit und Menschlichkeit in der Praxis.

Eine anonyme, möglicherweise japanische oder chinesische Weisheit ruft zur Gelassenheit auf: „Narren hasten, Kluge warten, Weise gehen in den Garten.“


Höffe O. Die hohe Kunst der Weisheit: Kleine Philosophie der Lebensklugheit. Erscheinungsort nicht ermittelbar: C.H.Beck; 2025. 253 S.