Neurostimulation (rTMS) zur Behandlung funktioneller neurologischer Störungen (FNS)

 

Was sind funktionelle neurologische Störungen?

Die sogenannten funktionellen neurologischen Störungen (FNS), die auch als „Konversionsstörungen“ oder „dissoziative neurologische Störungen“ bezeichnet werden, gehören zu den anspruchsvollsten Störungen an der Schnittstelle zwischen Neurologie und Psychiatrie. Ihre Symptome, wie Schwäche, Lähmung, Tremor, Krampfanfälle oder sensorische Ausfälle, sind nicht durch eine klare strukturelle Schädigung des Gehirns erklärbar. Funktionelle Störungen sind weit verbreitet und machen bis zu 20 % der Patienten in neurologischen Praxen aus. Die Diagnose wird nicht nur durch das „Nicht-Finden“ einer Schädigung gestellt, sondern stützt sich auch auf spezifische klinische Zeichen.

 
 

Das aktuelle Verständnis der Pathophysiologie funktioneller neurologischer Störungen (FNS) beruht auf einem neurobiologisch-psychologischen Integrationsmodell. Demnach entstehen funktionelle Symptome durch eine Fehlsteuerung in der Hirnverarbeitung von Bewegung, Wahrnehmung und Aufmerksamkeit. Bildgebende Studien zeigen eine abnorme Aktivierung und Konnektivität zwischen Arealen wie dem supplementär-motorischen Areal (SMA), dem limbischen System (vor allem Amygdala und Insula) sowie den präfrontalen Kontrollnetzwerken. Dadurch wird die willentliche Kontrolle über Bewegung oder Empfindung vorübergehend blockiert oder „überschrieben“. Kognitive Modelle beschreiben dies als Fehlanpassung von Vorhersage- und Aufmerksamkeitsprozessen im Gehirn (vgl. Predictive Coding): Das Gehirn erwartet ein bestimmtes Körpersignal und erzeugt es selbst, unabhängig vom tatsächlichen sensorischen Input. Psychologische Faktoren wie Trauma, Stress oder maladaptive Aufmerksamkeitsfokussierung können diese Prozesse verstärken. Das Ergebnis ist eine tatsächlich vorhandene und auch so erlebte, jedoch funktionell bedingte neurologische Dysfunktion.

Wie werden FNS behandelt?

Die Therapie bei FNS basiert auf einem multimodalen Ansatz, der die Bereiche Neurologie, Psychotherapie und Physiotherapie verbindet. Zunächst steht eine aufklärende Diagnosestellung im Vordergrund: Patientinnen und Patienten sollen verstehen, dass ihre Symptome real, aber funktionsbedingt sind, d. h., dass sie durch veränderte Gehirn- und Aufmerksamkeitsprozesse entstehen und nicht durch Einbildung. Anschließend folgt eine gezielte Physio- und Ergotherapie, die auf funktionelles Retraining abzielt (z. B. gezielte Bewegungsübungen, Wiedererlernen normaler Bewegungsmuster, Ablenkung von Fehlbewegungen). Parallel dazu wird in der Regel eine psychotherapeutische Behandlung, typischerweise eine kognitive Verhaltenstherapie (KVT), eingesetzt. Ergänzend können Entspannungs- und Achtsamkeitsverfahren, Neurofeedback und bei Bedarf eine medikamentöse Behandlung komorbider Störungen (beispielsweise Depressionen, Angststörungen) integriert werden. Das Ziel ist nicht die „Symptom-Bekämpfung“, sondern die Wiederherstellung von Funktionssicherheit, Körpervertrauen und Handlungskontrolle.

Es gibt Studien und Fallberichte, die zeigen, dass die repetitive transkranielle Magnetstimulation (rTMS) eine Therapieoption zur Behandlung der FNS sein kann. Bei der rTMS wird durch eine Magnetspule über dem Schädel ein zeitveränderliches Magnetfeld erzeugt, das im darunterliegenden Hirngewebe elektrische Ströme induziert. Je nach Frequenz, Intensität und Stimulationsort können entweder eine Erregung oder Hemmung von Hirnregionen bewirkt werden. In der Psychiatrie ist die rTMS beispielsweise bei therapieresistenter Depression etabliert. In der Neurologie findet sie zunehmend Anwendung bei Schlaganfall und chronischen Schmerzen. Bei Depressionen oder Schmerzen werden sehr gezielt spezifische Hirnregionen stimuliert, bei FNS ist das Vorgehen jedoch anders. Hier hat sich gezeigt, dass die Ergebnisse besser sind, wenn einerseits große Areale des Gehirns (mit zirkulären, sogenannten „Large-Field“-Spulen) und andererseits auch peripher, beispielsweise der gelähmte Arm, stimuliert werden.

Wieso kann die rTMS bei FNS helfen und wie die die Evidenzlage?

Wie bereits erwähnt, liegt der Modellüberlegung zugrunde, dass dem FNS eine Fehlfunktion von Vorhersage- und Aufmerksamkeitsprozessen zugrunde liegt. Insofern ist es plausibel, dass eine Stimulation sowohl zentral als auch peripher helfen kann, die Vorhersageprozesse neu zu „eichen“. Die Datenlage zur Evidenz ist jedoch noch begrenzt. Es gibt keine umfassenden, qualitativ hochwertigen, randomisierten Studien mit großem Stichprobenumfang. Hier ein Überblick:

  • Parina et al. (2014) beschreiben deutliche Symptomverbesserungen bei einigen Patientinnen und Patienten, die mit „Large-field rTMS mit zirkulärer Spule“ behandelt wurden. Es handelt sich jedoch nicht um eine kontrollierte Studie.

  • Garcin et al. (2017) fanden bei 33 Patientinnen und Patienten mit funktionellen Bewegungsstörungen eine Verbesserung von > 50 % bei 66 % der Patientinnen und Patienten nach stimulativer oder Wurzel-Magnetstimulation, allerdings ohne signifikanten Unterschied zwischen rTMS und der sogenannten (motorischen) Wurzelstimulation. Das Team leitet daraus ab, dass der Effekt womöglich stärker auf einen kognitiv-verhaltensbezogenen Effekt (z. B. Motivation, Erwartung, motorisches Re-Lern-Prinzip) als auf reine Neuromodulation zurückzuführen ist.

  • Pick et al. (2020) konnten einen Nutzen bei der Behandlung von Patientinnen und Patienten mit funktioneller Lähmung nachweisen. Allerdings waren die Effektgrößen klein bis moderat.

  • Pisano et al. (2023) kommen in ihrer Übersicht zum Schluss, dass die rTMS zur Behandlung der FNS eine sichere und praktikable Option ist. Die optimalen Stimulationsparameter müssen jedoch noch weiter untersucht werden.

Fazit

Die Anwendung von rTMS bei funktionellen neurologischen Störungen ist eine interessante Option, da sie neurologische Neurostimulation mit psychotherapeutischer Re-Lern-Logik verbindet. Die Studienlage ist zwar vielversprechend, aber noch nicht solide genug, um eine generelle Empfehlung als Standardtherapie auszusprechen.


Parain D, Chastan N. Large-field repetitive transcranial magnetic stimulation with circular coil in the treatment of functional neurological symptoms. Neurophysiol Clin. 2014 Oct;44(4):425-431. doi:10.1016/j.neucli.2014.04.004.

Garcin B, Mesrati F, Hubsch C, Mauras T, Iliescu I, Naccache L, Vidailhet M, Roze E, Degos B. Impact of Transcranial Magnetic Stimulation on Functional Movement Disorders: Cortical Modulation or a Behavioral Effect? Front Neurol.2017 Jul 19;8:338. doi: 10.3389/fneur.2017.00338.

Pick S, Hodsoll J, Stanton B, Eskander A, Stavropoulos I, Samra K, Bottini J, Ahmad H, David A S, Purves A, et al. Trial Of Neurostimulation In Conversion Symptoms (TONICS): a feasibility randomised controlled trial of transcranial magnetic stimulation for functional limb weakness. BMJ Open. 2020;10:e037198. doi: 10.1136/bmjopen-2020-037198.

Pisano G, Ercoli T, Latorre A, Rocchi L. Pathophysiology and Treatment of Functional Paralysis: Insight from Transcranial Magnetic Stimulation. Brain Sci. 2023;13(2):352. doi: 10.3390/brainsci13020352.